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Reflektionen IV
über Gertrude Steins Text Reflections on the Atom Bomb

Gertrude Steins Reflektionen über die Atombombe entstanden wenige Wochen vor ihrem Tod und mögen denen, die hierzulande (1979 – 1985) gegen Pershing und Co. demonstriert haben, als Provokation erscheinen – vielleicht abzutun als Gedanken einer Frau, die wusste, dass sie eh nicht mehr lange zu leben hatte.
Jedoch entpuppt sich das auf den ersten Blick scheinbar fehlende Engagement („I'm not interested”) beim weiteren Nachdenken als tiefsinnige Kritik, und ihren Schluss, dass es viel mehr Sinn macht, sich mit den Lebenden zu beschäftigen anstatt mit immer effizienteren Methoden diese umzubringen, will ich gerne unterschreiben. Daher steht dieser Satz auch am Ende meiner Reflektionen.

Gertrude Steins Sätze bilden eine Schicht meiner Komposition – von mir selbst eingesprochen, klanglich „distanziert” und eingeschärft, lediglich der Schlusssatz bringt aus den eben erwähnten Gründen meine „Original”-Stimmfarbe.
Repetitionen und Schleifenbildung sind ein wichtiges Element der Gestaltung, sie sind motiviert aus dem Text – allein dreizehnmal erscheint eine Ableitung des Wortes interest – und haben immer auch einen inhaltlichen Bezug, als Beispiel möge die Loop so you see the atomic bomb dienen, die hypnotisierend zwischen links und rechts pendelt. Überdies hat Gertrude Stein selbst auch in anderen Texten gern mit Schleifen gespielt, wie ihr berühmter Satz a rose is a rose is a rose is a rose zeigt.

Eine zweite Schicht beschäftigt sich klanglich mit dem Sujet des Textes – der Bombe. Am Anfang ist eine Atombombenexplosion „im Original” zu hören, zwischendurch auch mehrfach als fernes Grollen; aus einem einzelnen Impuls, der aus dem Explosionsgeräusch herausgeschnitten wurde, entwickelt sich über eine Rückkopplungsschaltung mit resonierenden Filtern eine Art musikalische (kontrollierte) Kettenreaktion aus „elementaren” Sinustönen, deren im Verlauf zunehmende Dichte den Vorgang der Annäherung an die kritische Masse andeutet.

Zwei Zahlensysteme bilden eine dritte – abstrakte – Ebene der Komposition (Komposition hat halt immer wieder mit Mathe zu tun!): exponentiales Wachstum bezeichnet den Vorgang der nuklearen Kettenreaktion bei der Explosion einer Atombombe, und für das Wachstum organischen Lebens („it's the living that are interesting”) steht die Fibonacci-Reihe, hier verwendet als formaler und rhythmischer Generator.